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Im Sand/Sturm: Freiheit und Glücklichsein

Das unverfälschte Gefühl von Freiheit und Glück,
das mitten durch uns hindurch sticht
und uns die Tränen in die Augen treibt,
kann man nicht suchen – es muss uns finden .

(Nina – 2020)

Es ist mir noch nie gelungen einen perfekten Moment zu (er)schaffen – mit Absicht, meine ich. Ich habe mir natürlich schon oft Mühe gegeben:
Zum Beispiel wenn Gäste kommen, dann soll es besonders schön sein.
Oder zu besonderen Anlässen, dann möchte ich es besonders gut machen.
Das ist dann auch wunderbar – und wenn ich sehe, das ich anderen Menschen einen schönen Moment schenken konnte, finde ich das toll – aber da kein Mensch perfekt ist, wie soll er dann perfekte Momente (er)schaffen? Und wieso eigentlich?

Es sind stürmische Zeiten …

Es war/ist der 09. Februar 2020, der deutsche Wetterdienst warnte vor einem schweren Sturmtief, die Medien-Kapriolen um das bevorstehende Wetter überschlagen sich. Die Vorzeichen lassen eigentlich keinen Tag der besonders schönen – vielleicht perfekten? – Momente und große Glücksgefühle erwarten.

Es ist Sonntag Vormittag und die Windwetterlage auf unseren Koordinaten noch entspannt. Es pustet mal hier mal da. Christian traut sich aufs Cross-Rad und düst davon, ich übernehme den Gassigang am Vormittag.

Seit Tagen möchte der Müpfel einen Drachen steigen lassen, doch war bisher zwischen Regen und Windstill nicht daran zu denken. Aber heute …
Ich spüre einen leisen Druck. Wie immer wenn wir etwas aufschieben müssen, wie immer wenn mir die Herausforderung eigentlich gerade zu viel ist. Zu viel Zeit, zu viel Organisation, zu viel enttäuschte Erwartung: „Mama, der Wind ist weg!“.
Und doch möchte – nein will – ich Wünsche wie diesen: „Mama, ich möchte meinen Drachen steigen lassen!“ meinem Kind erfüllen.

Aufbruch und wunderbare Momente

Ich beschließe, den Müpfel und Tüpfel ins Auto zu setzen. Wir steuern die Weserhalbinsel Harriersand an. Das ist zwar ein Stück entfernt, aber wenn es weht, dann am Wasser. Seit zwei Stunden läuft das Wasser wieder auf, ein bisschen Zeit haben wir also.

Die Strandhalle am Ende der Insel ist noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht und liegt verschlossen vor uns. Einige Autos auf dem Parkplatz lassen darauf schließen, dass das eine oder andere der Wochenendhäuser genutzt wird. Ein schmaler Weg führt vom Parkplatz an der Halle vorbei hinaus auf den Strand.

Und da erwischt er uns, der Wind, der Sturm. Er ist stark und peitscht feinen Sand in welligen Wehen über den Strand. Es sticht und prickelt und ist wunderbar.

Der Müpfel jauchzt und stemmt sich in den Wind, er dreht sich um und versucht sich auf die fast senkrecht tosenden Böen zu legen. Er landet im Sand und lacht, hält sich den Arm über die Augen und lacht weiter. Wir ziehen die Mützen herunter und die Schals nach oben, schlagen unsere Kapuzen hoch und breiten die Arme aus.

Auf einmal sind wir frei. Auf einmal bin ICH frei. Der unbezwingbare Krebs, die Crux wenn sich scheinbar nicht zum Guten wenden will. Alles wird auf einmal von mir genommen, weggerissen und weit hinaus geweht. Tanzt irgendwo hoch oben und ich lasse es zu, lasse zu das meine Gedanken nicht kreisen, sondern im Hier und Jetzt sind. Bei meinem Sohn, bei meinem Hund, bei mir. Das Gefühl ist leicht und rauchst durch mich hindurch, fast ein bisschen taumelig und benommen. Es hat verdammt viel Ähnlichkeit mit den Empfindungen die Angst und Panik auslösen können – nur ohne Angst und Panik. Denn dieses Gefühl fühlt sich gut an, mir geht es gut – ich bin glücklich. Ein rundum wunderbarer Moment.

Ich bin frei und glücklich am stürmischen Strand auf Harrierersand

Der Drache tanzt, der Müpfel jauchzt und Hundeohren flattern im Wind

Der Drache hat miserable Flugeigenschaften, das war ein klassischer Fehlkauf. Das macht dem Müpfel aber nichts aus, solange der Drache nur im Wind zappelt und tanzt. Und das tut er.

Tüpfel läuft auf dem Strand hin und her, er bellt und bellt und bellt. Eigentlich macht mich das wütend und ist mir furchtbar unangenehm, aber heute nimmt der Wind das Bellen einfach mit – und weg ist es. Soll der Hund sich seine Aufregung und seine Lust am Ausflug nach Herzenslust aus dem Leib bellen.
Er nagt an den angespülten Hölzern, schlabbert in der Brandung und steckt die Nase ins scharfe Ufergras. Der Wind bläst, Tüpfel hält seine Nase in den Wind und bläht die Nüstern. Seine Ohren flattern.

Ich bin einfach glücklich, beiden zuzusehen, die Kraft in Wind und Wasser ganz nah zu spüren. Die Stiche der irrwitzig schnellen Sandkörner an meinen Händen und im Gesicht zu fühlen.
Ich musste nichts dafür tun, der Moment – das Glück und die Freiheit – hat uns gefunden.

Sturm, Strand, tanzender Drache und wehende Hundeohren

Die Große Kunst des Innehaltens

Wir sind schon eine Weile am Strand und der Aufbruch rückt näher. Der Müpfel hat den Drachen eingeholt und möchte noch einmal hinunter zum Wasser.

Ganz tief in seinem Wesen ist die Fähigkeit inne zu halten verwurzelt. Ganz früh hat er uns gezeigt, das er gerne beobachtet und das er es mit sich selbst gut aushalten kann. In hektischen Zeiten bemerke ich immer wieder, wie oft und wie leicht man diese Fähigkeiten untergräbt und ihnen keinen Raum im Alltag lässt. Und wie schnell sie dann stumpf werden und der Zugang dazu schwierig.

Wenn der Müpfel im Reinen ist, kann er sich im Kindergarten auf den Boden legen und den Wolken zusehen während um ihn gerannt und gerangelt wird. Er kann sich das Radio anschalten, auf dem Sofa sitzen und einfach etwas Musik hören. Er kann aus dem Fenster in den Regen schauen.

Mit seinem tanzenden Drachen steht der Müpfel am Strand, schaut hinaus auf die aufgewühlte Weser und das laute Hafen-Panorama gegenüber. Ich spüre seine Ruhe und warte bis der Bann sich löst.

Die Fähigkeit Inne zu halten

Für eine wunderbare kleine Weile war das Leben einfach frei und wir glücklich.

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